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Wissensmanagement Methoden/Werkzeuge | | |
Story Telling oder Narrativer Wissenstransfer
WAS | Narrativer Wissenstranfer ist eine Methode, die in sechs Phasen (siehe Abbildung 1) abläuft und deren sichtbares Ergebnis ein Erfahrungsdokument ist, das in der Organisation verbreitet wird. Ein Erfahrungsdokument enthält die schriftliche Nacherzählung eines bedeutenden Ereignisses in einem Unternehmen aus möglichst vielen Perspektiven. Es enthält die Erfahrungen von beteiligten Personen, Kontextinformationen sowie Kommentare und Reflexionen der „Erfahrungshistoriker“, die die Erstellung des Dokuments leisten.
Narrativer Wissenstransfer wurde unter der Bezechnung „Story Telling“ am Center for Organizational Learning des MIT von einer Gruppe von Sozialwissenschaftlern, Geschäftsleuten und Journalisten entwickelt und erprobt. Als die beiden wichtigsten Vertreter des Story Telling sind in diesem Zusammenhang Art Kleiner und George Roth zu nennen.
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Abbildung 1: Die sechs Phasen des Narrativen Wissenstransfers |
WARUM | Narrativer Wissenstransfer ermöglicht eine methodisch unterstützte Erfassung von implizitem Erfahrungswissen und Weitergabe dieses Wissens. Durch die besondere Form der Präsentation des Erfahrungswissens im Erfahrungsdokument wird die Reflexion angeregt und damit die Entwicklung des Unternehmens in Richtung einer lernenden Organisation unterstützt.
| WIE | Eine kleine Gruppe von Personen aus dem Unternehmen begleitet den gesamten Prozess über alle sechs Phasen hinweg, die wie folgt beschrieben ablaufen. Wenn es keine Experten für Narrativen Wissenstransfer in der Organisation gibt, wird diese Gruppe um externe Spezialisten erweitert. Diese Gruppe übernimmt auch die Rolle der „Erfahrungshistoriker“ bzw. Autoren der Erfahrungsgeschichte.
Phase 1: Planen Als erstes ist zu klären, welche Zielsetzung verfolgt werden soll. Dazu werden die Verantwortlichen im Unternehmen befragt, zu welchen Problembereichen oder Themen nicht-technischer Art sie Erfahrungswissen erfassen möchten. Themen können zB mögliche Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen Teammitgliedern in der Projektarbeit oder die Evaluierung eines Veränderungsprozesses oder Wissen über die Zusammenarbeit mit externen Partnern oder die Unternehmenskultur sein.
Ausgehend von dieser Zielsetzung werden ein oder mehrere Ereignisse in der näheren Unternehmensgeschichte ausgewählt, die sich für die Untersuchung der Problembereiche bzw. Themen eignen. Wichtig ist dabei zu prüfen, ob genügend „Stoff“ für eine packende Erfahrungsgeschichte aus diesem Ereignis gesammelt weren kann.
Phase 2: Interviewen In dieser Phase werden Personen aus möglichst allen Hierarchieebenen be- fragt, die am ausgewählten Ereignis beteiligt waren, um so viele verschiedene Perspektiven wie möglich zu erhalten. Die Befragung setzt sich aus einem narrativen und einem halbstrukturierten Teil zusammen, um die Erfahrungen und Erlebnisse aller Beteiligten zu erfassen und möglichst viele verschiedene Sichtweisen auf das Ereignis kennen zu lernen. Narrativ bedeutet, dass die Interviewpartner durch offene Fragen wie „Wie haben Sie das erlebt?“ oder „Was haben Sie dabei empfunden?“ zum Erzählen angeregt werden. Halbstrukturiert heißt, dass nach den in der Planung identifi- zierten Themen gefragt wird, zB wie die Interviewpartner die Kommunikation im Team erlebt haben, wie sie die Teambildung empfunden haben und was sie daraus für die Zukunft gelernt haben.
Die Interviews werden, die Zustimmung der Befragten vorausgesetzt, auf einem Tonträger aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Transkribieren bedeutet das Abtippen der Audiodatei von Hand ev. mit Unterstützung eines Computerprogramms. Sollte eine Anonymisierung der Transkripte erwünscht sein, werden die Interviewpartner vor oder nach dem Interview gebeten ein Tier oder Symbol für sich auszuwählen. Meist genügt ihnen zur Anonymisierung die Verwendung von Rollenkürzel (zB CEO, PM). In den transkribierten Dokumenten finden sich in diesem Fall nur noch die Tiere, Symbole oder Rollenkürzel statt der Namen der Befragten.
Phase 3: Extrahieren Die Transkripte werden den „Erfahrungshistorikern“ bzw. Autoren der Erfahrungsgeschichte zur Verfügung gestellt. Die Autoren suchen unter Zuhilfenahme der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring in den Transkripten nach Aussagen, die die Problembereiche betreffen, widersprüchlichen Zitaten und verborgenen Themen. Durch diesen Extraktionsprozess bilden sich übergreifende Kategorien („rote Fäden“) heraus, anhand derer die Zitate einordnet und damit die Grundstruktur für die Erfahrungsgeschichte geschaffen wird. Die ausgewählten Zitate müssen relevant für die zu untersuchenden Problembereiche sein und eine Aussagekraft (zB Emotionen, per- sönliche Gewichtung für den Interviewten) besitzen. Sie müssen sich auch für den Zusammenbau einer spannenden Geschichte eignen. Zusätzlich wird darauf geachtet, welche Beziehungen zwischen den einzelnen Aussagen entstehen, welche Widersprüche sich abzeichnen und welche unterschiedlichen Blickwinkel auf das Thema eingenommen werden. Zuguterletzt müssen sie die Zielgruppe, für die die Erfahrungsgeschichte geschrieben werden soll, ansprechen.
So werden beispielsweise Aussagen aller Befragten zusammengestellt, die die Kommunikation im Team in unterschiedlichen, ggf. auch gegensätzlichen, Facetten beschreiben. Diese Zitate können dann zB Teil des roten Fadens „Kommunikationsgepflogenheiten im Unternehmen“ sein.
Phase 4: schreiben In dieser Phase werden die einzelnen thematischen Blöcke zur Erfahrungsgeschichte zusammengefügt. Strukturell ist hier zu entscheiden, ob die Geschichte chronologisch entsprechend dem Ablauf des untersuchten Ereignisses oder thematisch nach den identifizierten roten Fäden aufgebaut sein soll. Die Entscheidung orientiert sich daran, was für die Zielgruppe leichter nachvollziehbar und interessanter zu lesen ist.
Jeder Block (roter Faden oder Zeitabschnitt) im Erfahrungsdokument beginnt mit einem provokanten Titel, der bereits die Kernaussage der nachfolgenden Kurzgeschichte aufgreift, um das Interesse beim Leser zu wecken. Der weitere Text ist zweispaltig aufgebaut, damit die Originalzitate der rechten Spalte von den Ergänzungen der Autoren unterschieden werden können. Diese Ergänzungstexte können Kommentare, provokante Fragen, erklärende Erläuterungen und andere Impulse sein, die zum Nachdenken anregen sollen.
Auf diese Art und Weise entsteht eine kurze Geschichte, die zB die unterschiedlichsten Sichtweisen, Gründe, Verbesserungsvorschläge und Lernerfahrungen der Befragten für wenig effiziente Kommunikationsprozesse im Unternehmen wiedrgibt. Als zusätzliche Gestaltungselemente können Bilder und Analogien hinzugefügt werden, die die Aktivierung mehrerer Wahrnehmungskanäle beim Lesen unterstützen. Insgesamt betrachtet wird durch diese Präsentationsform verborgenes Wissen offengelegt und die Leser zum Nachdenken und Reflektieren angeregt (siehe Abbildung 2). |
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Abbildung 2: Struktur der Erfahrungsgeschichte |
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Phase 5: Validieren Aus Fairness- sowie Akzeptanzgründen und um die Richtigkeit der Inhalte abzusichern, erhalten alle Interviewpartner ihre eigenen Zitate mit der Bitte um Freigabe. Die Befragten haben jetzt die Gelegenheit, heikle Aussagen vor der Veröffentlichung zu entschärfen oder ganz zu streichen, wenn unbedingt gewünscht. Der Originalcharakter der Zitate sollte aber möglichst erhalten bleiben.
Die Autoren sollten in dieser Phase darauf achten, dass nicht durch zu viele Streichungen von kritischen und/oder konträren Aussagen eine zu „geglättete“ Geschichte entsteht. Hier kann es wichtig sein, den Befragten ihre Anonymität noch einmal zuzusichern. Phase 6: Verbreiten Nach der Freigabe der Erfahrungsgeschichte soll sie zum Nutzen der Organisation verbreitet werden. Am besten eignen sich dazu Veranstaltungen, in denen Personen aus den Zielgruppen für die Erfahrungsgeschichte zusammenkommen, ihre Erkenntnisse aus der Erfahrungsgeschichte austauschen und gemeinsam beraten, was aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Zukunft gelernt werden kann. Den Abschluss dieser Phase bildet die Vereinbarung von Veränderungsmaßnahmen, die die wesentlichsten Erkenntnisse aus der Erfahrungsgeschichte in der Organisation wirksam werden lassen.
Fazit Narrativer Wissenstransfer ist ein längerer Prozess, der bis zu einem halben Jahr dauern kann, je nach Tiefe der Erhebung und der Anzahl der beteiligten Personen. Er ist die Methode der Wahl, wenn die in der Unternehmenskultur verhafteten Normen und Werte transparent und damit veränderbar gemacht werden sollen oder wenn wichtiges Erfahrungswissen erhoben und unternehmensweit weitergegeben werden soll.
Dem Erfahrungsdokument kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Es ist einerseits Endergebnis der Erhebung von unternehmensrelevantem Wissen und Erfahrungen, andererseits ist es auch Startpunkt für tiefergehende Reflexionsprozesse, in denen einzelne Aspekte aus der Erfahrungsgeschichte beleuchtet werden. Damit werden organisationale Lernprozesse angestoßen. | Referenzen | | Copyright 1998-2013 Angelika Mittelmann. Letzte Änderung am 24.03.2013.
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