Michel Houllebecq: Karte und Gebiet (1)

Lieber Neffe,
jetzt habe ich die ersten 110 Seiten (gefühlte 30 Seiten, war eben ganz überrascht, dass es doch schon so viele sind) gelesen.

Weder den Waschzettel noch deine Anmerkungen kann ich bis jetzt nachvollziehen, vielleicht kommt das noch…

Für mich war nach den ersten 10 oder 20 Seiten ein starkes Gefühl zu spüren, ein Gefühl des … hmm… Heimkommens? Nein, nicht heim, aber zurück, also ein Gefühl da wieder hinzukommen, wo man schon mal war und sich auch wohlgefühlt hat. So ungefähr.

Wie mir das klar wurde, dachte ich mir: Moment, ist doch schon so lange her, dass ich diesen Franzosen gelesen habe – aber ja, doch, das ist der Houellebecq-Stil, ganz klar, damals hab ich 2 oder 3 Bücher relativ schnell hintereinander gelesen, jetzt ist es eine Art Wiedersehen, mit dem Autor.

Und der soll sich verändert haben? Sagen sie, sagst du? Sicher ja, irgendwie, aber eher unmerklich.
Ein absolut typischer Houllebecq, bis jetzt auf alle Fälle!
Ich finde alles wieder, wie gehabt:
– das seltsame unmerkliche Vermischen von Rückblicken und Gegenwart, bis man nicht mehr so richtig weiß, welche der erzählten Zeiten überhaupt die eigentliche ist…
– die kategorische, wie wissenschaftliche belegbare Analysen klingende Beschreibung von diversen gesellschaftlichen Vorgängen der jüngeren Vergangenheit,
wie zB der Speisenwahl der Restaurantgäste, Tourismusindustrie, Großstadtplanung, der von Männern derzeit bevorzugte Frauentyp, oder was immer…
(obwohl man als Leser bald weiß, dass diese Beschreibungen eher dem Wunschdenken oder der Phantasie des Autors entstammen, als dass sie Fakten wären…)
– die absolut bösartige bis zyn. Beschreibung von Sex, Liebe, körperlichem Verfall = Alter, Zusammenhang von Sex und Geld etc. etc.
– die echte Sachkenntnis auf verschiedenen Gebieten, hier zB Fotografie, sogar Großformatfotografie, wobei dann auf S. 72 doch ein kleiner Schnitzer unterlaufen ist, aber bitte… das kann passieren
– die immer etwas distanziert bleibende Darstellung der Protagonisten, so dass man als Leser nie so ganz 100%ig „warm“ wird mit ihnen

… nicht vollständig, diese Charakterisierung seiner Bücher, aber mal ein Versuch…

wirklich ein toller Autor, aber mehr als hundert Seiten, eher 50, schaffe ich da nicht am Abend.
Den letzten Martin Suter (Allmen und die Libellen) habe ich in einem Abend ausgelesen, ebenso den viel dickeren Hakan Nesser (schwedischer Krimi).
Für den vorletzten Suter (Lila lila) habe ich wegen seiner depressiven Grundstimmung fast 2 Monate gebraucht…

Liebe Grüße …

(Wunderbar auch seine Verehrung der Michelin-Straßenkarten, die ich seit 1972 schätze und die trotz aller Navi-Fortschritte für einen rundum gelungenen Frankreichurlaub noch immer unverzichtbar sind…)

Soweit meine Gedanken zu den ersten 117 Seiten von
Michel Houllebecq: „Karte und Gebiet“ – Roman, DuMont Köln, 2011 – original: „La carte et le territoire“, 2010

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