noch mal „Totale 2011“ Festival für parallele Kunst

Kennt noch jemand die SF-Novelle „Der futurologische Kongress“ von Stanislaw Lem?
Wo man ständig aus einem bösen Traum erwacht, nur dass es in Wirklichkeit, eine Ebene tiefer, dann noch schrecklicher ist, und man dann fast erleichtert feststellt, es war wieder nur ein Traum, aber die nächste Wirklichkeit ist doch noch schlimmer…
Und jetzt das Kunstfestival „Totale 2011“.
Da gibt es ein knallrotes Programmheft, das man auf Plakatgröße auseinanderfalten kann – und muss, um an alle Seiten heranzukommen. Fast zwanzig Events werden da auf jeweils einer Seite beworben, mit einem reißerischen Titel und einem ebenso reißerischen Text, mit Termin und Ortsangabe.
Aber das ist man ja gewohnt, nicht nur von der Kunst – bis zum Waschmittel wird jedes und alles in unserer Gesellschaft von der Werbung aufgeblasen bis zu den fantasievollsten Superlativen. Kennen wir schon.
Doch dann, aufwachen. Sozusagen eine Ebene tiefer. Diese Texte. Die sind doch ganz schön frech. Werden da nicht die bunten Blumenbeete unserer Stadt lächerlich gemacht? Und die Stadtwache, oder doch nur ihre Uniformen? Moment mal. Ist das womöglich alles nur eine einzige Verarschung? Na, sagen wir, eine Art Kabarett.
Noch eine Ebene tiefer. Nur Blödsinn kann es nicht sein, wenn doch so berühmte Leute wie Salman Rushdie sich dazu geäußert haben: „Einfach unvergesslich“. Und die Einladung in den Dining Room an der Promenade. Kommt uns bekannt vor, aber eigentlich kennen wir es nicht. Noch nicht. Also gehen wir hin? Und wenn damit einfach – nein, das können die doch nicht machen – oder doch, wenn einfach die Promenade… Wir studieren das Heft: City Runner, eine von beiden Seiten begehbare Installation. Oder: Oh entflieh! Samstags um 12. Spinnenweben am Lentos. Verkehrslärm auf der Brücke. Und wenn der Rushdie nur einfach so zitiert ist, ohne das Projekt überhaupt zu kennen? Straßenbahn. Sirene. Halt! Halt! Wir fallen…
Und wachen eine Ebene tiefer wieder auf. Da haben sie lauter eigentlich banale Dinge, alltägliche Ereignisse, die sowieso da sind, in den Rang eines Event erhoben. Mit fetzigen Sprüchen und dazugesponnen Anfangszeiten. Selbst den Mond eingespannt. Ganz nette Idee, was? Aber für ein „Festival für parallele Kunst“ doch vielleicht ein bisschen wenig? Und das Festival besteht eigentlich genau aus dem Programmheft (mit dem dazu synchronen Webauftritt www.totale.at)? Sonst nichts? Nichts! Es gibt nichts Konkretes sonst. Hilfe, wir stürzen…
Im Gegensatz zum Buch von Lem fallen wir nun doch endgültig auf festen Boden. Nein, es war nicht nur heiße Luft, nicht nur reißerische Verpackung von nichts.
Wir gehen durch Linz – und ich denke, es wird auch überall sonst funktionieren – und sehen erst dies und das, dann immer mehr, schließlich alles, einfach ALLES, TOTAL alles, mit neuen Augen. Hören die Geräusche neu. Riechen, was es da zu riechen gibt, und spüren die Erschütterung in den Mauern unter der Brücke. Grinsen entspannt über die Stadtwachepärchen. Alle Sinne bekommen was zu tun. TOTALE 2011. Total gut. Das ist nachhaltige Kunst.
Total. Ohne Eclipse. Auch wenn die den Höhepunkt geliefert hat.

rudolf mittelmann – 17.6.2011

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